Auch wenn neue Tagebaue aufgeschlossen würden, wird die Zahl der Arbeitsplätze im Lausitzer Revier weiter sinken. Niemand kann die heute behaupteten Arbeitsplatzzahlen für die Laufzeit der geplanten Tagebaue verbindlich garantieren. Erneuerbare Energien schaffen bereits bundesweit deutlich mehr, in Brandenburg etwa genauso viele Arbeitsplätze wie die Braunkohle. Das Problem der Energiewirtschaft heißt nicht mehr Arbeitsplatz-, sondern Fachkräftemangel.
Arbeitsplatzeffekte der Lausitzer Braunkohlewirtschaft (pdf, 12 Seiten)
Oft werden nur Arbeitsplatzzahlen der Vergangenheit (z.B. des Jahres 2010) diskutiert. Doch wie sähe es während der Betriebszeit neuer Tagebaue aus? Neubaukraftwerke beschäftigen grundsätzlich weniger Menschen als die derzeit noch betriebenen nachgerüsteten DDR-Kraftwerke. Schon 2015 endet planmäßig der Tagebau Cottbus-Nord. Der Ersatz für Cottbus-Nord kommt aus dem Tagebau Reichwalde (Sachsen) und ist in den heutigen Arbeitsplatzzahlen längst enthalten. Auch die Landesregierung Brandenburg stellt auf Grundlage eines eingeholten Prognos-Gutachtens in ihrer Energiestrategie 2030 fest,
„dass für die Braunkohleindustrie Brandenburgs aufgrund von Effizienzsteigerungen insgesamt in den nächsten Jahrzehnten von einem Beschäftigungsrückgang auszugehen ist.“
Im Leitszenario ihrer Energiestrategie (also selbst mit Neubau eines Kraftwerkes in Jänschwalde) erwartet sie bis zum Jahr 2030 einen Rückgang um über 4.000 Arbeitsplätze im direkten (minus 2.300) und indirekten (minus 1.800) Beschäftigungsbereich. Die Steuereinnahmen für Land und Gemeinden würden in ähnlichem Maße sinken. Die Landesregierung schätzt jedoch ein:
„Aufgrund der Alterspyramide der in der Braunkohleindustrie unmittelbar beschäftigen Personen erscheint dieser Rückgang durch altersbedingte Abgänge jedoch sozial verträglich gestaltbar.“(1)
Seit den Massenentlassungen der frühen 1990er Jahre hat sich die Lausitz gewandelt. Wer das Kraftwerk Jänschwalde mit aufgebaut hat, wird sein Arbeitsleben in der Regel dort abschließen können, wenn es bis nach 2020 betrieben wird. Statt Arbeitslosigkeit heißt das Problem der Energiewirtschaft nun Fachkräftemangel. Das Gutachten des Wirtschaftsministeriums zur Fortschreibung der Energiestrategie formuliert dazu:
„Durch altersbedingte Ersatzbedarfe (vor allem in der klassischen Energiewirtschaft) sowie wachstumsbedingte Erweiterungsbedarfe (vorwiegend bei den Erneuerbaren Energien) müssen bereits bis 2020 zwischen 4.700 und 7.400 Fachkräfte für die Branche gewonnen werden.“(2)
Es gibt keine günstigere Zeit, um den Wandel der Energiewirtschaft sozialverträglich anzugehen, als die, in der die Beschäftigten erst noch „gewonnen“ werden müssen. Je später freilich die Notwendigkeit des Wandels eingesehen wird, umso mehr persönliche Schicksale sind betroffen.
Oft werden sogenannte indirekt Beschäftigte mit angegeben. Das sind Mitarbeiter von Zulieferfirmen, die nicht gezählt, sondern aus dem Auftragsvolumen errechnet werden. In der Zeitschrift "Vattenfall magazine" von April/Mai 2012 (S. 25) bekommt man ein Beispiel vor Augen geführt, in welche Richtung sich diese Zahlen entwickeln sollen: "Wir erwarten, dass Vattenfall in diesem Jahr durch noch intelligenteren Handel fast 150 Millionen Euro einspart. (...) Durch Erhöhung des Wettbewerbs unter unseren Lieferanten kann Vattenfall die Preise senken (...) Ziel für 2014 ist es, die Betriebskosten um 296 Millionen Euro zu senken."
Längst nicht alle Kohle-Arbeitsplätze hängen davon ab, ob in Jänschwalde nach 2020 ein neues Kraftwerk gebaut wird. Die Kraftwerksstandorte Boxberg und Schwarze Pumpe können mit der Kohle aus bestehenden Tagebauen noch deutlich länger Arbeit sichern und den schrittweisen Umstieg ermöglichen.
Zudem spricht vieles dafür, dass die bisher diskutierten Arbeitsplatzeffekte eines Neubaukraftwerkes stark überhöht sind. Prognos räumt selbst ein, von sehr optimistischen Annahmen zur Kraftwerksauslastung und zum CO2-Preis ausgegangen zu sein.(3) Auch wird stets mit 2000 MW installierter Leistung gerechnet, das Kraftwerk könnte aber auch deutlich kleiner werden. Die Energiestrategie der brandenburgischen Landesregierung spricht hier vorsichtig von einer „maximalen Leistung von 2000 MW“ (S. 42) Je kleiner Leistung und Auslastung und je ungünstiger der CO2-Preis, umso weniger Kohle wird verbrannt und entsprechend weniger Arbeit im Tagebau gesichert. Der angerichtete Schaden (Umsiedlung, Grundwasserabsenkung, ...) verringert sich dagegen kaum, wenn ein Tagebau einmal in Betrieb ist.
Die Arbeitsplätze in der Braunkohlewirtschaft (Sachsen + Brandenburg) zeigten nach Angaben des deutschen Braunkohle Industrie Vereins DEBRIV zuletzt folgende Entwicklung:
Vattenfall Europe Mining | Vattenfall Europe Generation | Summe | |
---|---|---|---|
Dezember 2002 | 5553 | 3806 | 9359 |
Dezember 2004 | 5345 | 3497 | 8842 |
Dezember 2006 | 5031 | 2918 | 7949 |
Dezember 2010* | 7653 |
* (durch Umstrukturierung nicht direkt vergleichbar)
Zudem sind alle diese Zahlen künstlich erhöht. So zählt der DEBRIV beim „Lausitzer Braunkohlenrevier“ auch hunderte Arbeitsplätze außerhalb der Lausitz mit. Zu Vattenfall Europe Generation gehören 2007 allein 400 Mitarbeiter und Auszubildende im Kraftwerk Lippendorf bei Leipzig sowie eine nicht genannte Anzahl Mitarbeiter in den sächsischen und thüringischen Pumpspeicherwerken. Erst hartnäckige Nachfragen im Braunkohlenausschuss brachten das ans Licht. Wie sollen diese Arbeitsplätze von neuen Tagebauen in der Lausitz abhängen?
Als die PROGNOS AG 2005 im Auftrag von Vattenfall die Arbeitsmarkteffekte des Kraftwerksneubaus in Boxberg bewertete, wurden 1000 Arbeitsplätze in der 4-jährigen Bauphase also „4000 Personenjahre“ vorhergesagt.(4) Als Umweltaktivisten 2007 auf dem Baugelände protestierten, sprach Vattenfall noch von „weit über 300“ Leuten auf der Baustelle.(5) In der politischen Diskussion hatte Vattenfall also dreimal so viele Bauleute vorhergesagt, als bei einer Stichprobe bestätigt werden konnten. Das wirft ein zweifelhaftes Licht auf heutige Versprechen.
Bei der Entscheidung über neue Tagebaue müssen auch die durch die Braunkohlewirtschaft be- oder verhinderten wirtschaftlichen Betätigungen und die damit verbundenen Arbeitsplätze den Beschäftigungswirkungen neuer Kraftwerke/Tagebaue gegenübergestellt werden. Das ist bisher nirgends geschehen. Beispielsweise würde die Region Guben als Wirtschaftsstandort durch einen Tagebau Jänschwalde-Nord nachhaltig geschädigt.
Gegenzurechnen sind ebenso Probleme, die durch die unflexible Einspeisung von Braunkohlestrom entstehen (mangelnde Versorgungssicherheit, Kosten durch Abregeln erneuerbarer Erzeugung oder zusätzlich nötiger Netzausbau). Würde dagegen eine ausreichend flexible Kraftwerkstechnik unterstellt, führt die Senkung von Auslastung und Kohlebedarf zur weiteren Verringerung der Arbeitsplatzeffekte im Bergbau.
Nicht zuletzt sind auch Bergschäden (z.B. Risse in Mauern oder Straßen) ein negativer wirtschaftlicher Effekt für die Region. Denn in der Praxis werden längst nicht alle Bergschäden entschädigt, ein gewisser Anteil wird von den Geschädigten aus verschiedenen Gründen nicht einmal gemeldet.
Fußnoten:
(1) Energiestrategie 2030, S. 43
(2) A.T. Kearney/Decision Institute 2011: Grundlagen für die Erstellung der Energiestrategie 2030 des Landes Brandenburg, S. 66
(3) „Die Volllaststunden von Braunkohle könnten in Folge eines beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energieträger noch niedriger liegen als hier angegeben. In diesem Fall würden die Stromgestehungskosten von Braunkohlenstrom ansteigen. Die Entwicklung der CO2-Preise ist ungewiss.“ (Prognos AG 2012: Entwicklung der energiestrategischen und regionalwirtschaftlichen Auswirkungen der im Rahmen der systematischen Weiterentwicklung der Energiestrategie des Landes Brandenburg untersuchten Szenarien in zwei Leistungspaketen, S. 35)
(4) PROGNOS AG: Energie und regionalwirtschaftliche Bedeutung der Braunkohle in Ostdeutschland, Dezember 2005, S. 118
(5) Pressemitteilung vom 02.10.2007
(aus "Vattenfalle 2"; April 2010)
Das Image des „Partners der Region“ hatten wohl viele derjenigen Cottbuser im Hinterkopf, die sich im Winter 2009/2010 nicht am Volksbegehren gegen neue Tagebaue und für eine zukunftsfähige Energiepolitik beteiligten. Wer sägt schon gern an dem Ast auf dem er zu sitzen glaubt? Kurz darauf - im Mai 2009 - kam heraus, was der Konzern sicher schon während des Volksbegehrens wußte: Vattenfall zahlt in der Lausitz dramatisch weniger Gewerbesteuer, als zuvor von den Kommunen angenommen. Cottbus erhalte noch etwa 2 statt der erwarteten 20 Millionen. Auch die Stadt Weißwasser (1,5 statt 13 Mio.) oder die Kraftwerksstandorte wie Boxberg (ca. 2 statt 12 Mio) oder Teichland erhalten nun weniger – nur ist deren Finanzlage nicht mit der Verschuldung der Stadt Cottbus vergleichbar. Hintergrund ist eine finanztechnische Umstrukturierung des Unternehmens, also nicht etwa die Wirtschaftskrise.(1) (Am Ende des Jahres 2009 war der Betriebsgewinn bei der deutsch-polnischen Vattenfall Europe sogar um knapp sieben Prozent auf 1,8 Milliarden Euro gestiegen.(2)) Die Politik schickte 2009 Ministerpräsident Platzeck ins Rennen, der wegen der Cottbuser Gewerbesteuer sogar nach Stockholm geflogen sein soll - ohne jeden Erfolg. Hier zeigte sich, dass die Machtverhältnisse zwischen Vattenfall und Landesregierung auf dem Kopf stehen.
Anfang 2010 folgte der nächste Schock: Ein „move“ genanntes Programm des Konzerns soll 180 Millionen Euro einsparen – vor allem bei den Personalkosten. Die Kohle-Gewerkschafter in der Lausitz müssen langsam umdenken. „Erst sind wir gemeinsam mit Vattenfall marschiert, jetzt werden wir vor den Kopf gestoßen“ gibt die Lausitzer Rundschau die Stimmung auf einer Betriebsversammlung wieder.(3) In Berlin demonstrierten 3000 Mitarbeiter gegen die Kürzungspläne.
Die Erfolgsmeldungen aus der Lausitzer Kohlewirtschaft lesen sich derweil so: Ab Herbst 2009 wird die Kohle des Tagebaus Jänschwalde direkt mit einer Bandanlage ins Kraftwerk gefahren, der Transportweg verkürzt sich dabei um elf Kilometer.(4) Ab April 2010 wird die Stromversorgung für die fünf Vattenfall-Tagebaue zentral aus einer neu eingerichteten Netzleitstelle überwacht und gesteuert. „Zur Optimierung der Stromversorgung wurden die bis dahin vier eigenständigen Stromversorgungsstandorte technisch und organisatorisch zusammengeführt.“(5) Steigt oder sinkt die Arbeitsplatzbedarf durch solche Maßnahmen?
Und was wird die Zukunft bringen? Ab dem Jahr 2013 werden schärfere Zuteilungsregeln im Emissionshandel gelten. Noch bekommt Vattenfall einen großen Teil der Zertifikate geschenkt, dann müssen sämtliche Zertifikate ersteigert werden. Die Gewinne extrem klimaschädlicher Kraftwerke wie Jänschwalde könnten dann drastisch zurückgehen – und mit ihnen erneut die Gewerbesteuer. 2015 endet planmäßig der Tagebau Cottbus-Nord. Der Ersatz kommt aus Reichwalde (Sachsen) und ist in den heutigen Arbeitsplatzzahlen längst enthalten.
Wer in der Regionalentwicklung auf Kohle bauen will, wird nicht zum letzten Mal enttäuscht werden.
Fußnoten:
(1) Weniger Kohle von Vattenfall - Der Tagesspiegel, 25.05.2009
(2) Vattenfall Europe steigert Gewinn - Der Tagesspiegel, 11.02.2010
(3) Protest gegen Sparpläne bei Vattenfall - Lausitzer Rundschau, 03.03.2010
(4) Vattenfall-Pressemitteilung vom 01.Oktober 2009
(5) Vattenfall-Pressemitteilung vom 01.April 2010