Krass schizophrene Gegend – Arbeitskräftemangel in der Lausitz

(Kommentar)

181028 leere stuehle michael helbigZeitungsartikel mit der Überschrift „Personalnot in der Lausitz“ gab es schon im Oktober 2016. Mindestens so alt ist die Erkenntnis also, dass es der Lausitz nicht an Arbeitsplätzen, sondern an Arbeitskräften fehlt. Für Kohlelobby und Landesregierung kam und kommt diese Wahrheit ungelegen. Aber im ignorieren von Wahrheiten haben beide viel Übung. Es wurde einfach weiter das Mantra heruntergebetet, die Region brauche erst neue Industriearbeitsplätze, bevor sie aus der Kohle aussteigen könne.

Inzwischen kann man beobachten, was tatsächlich passiert. Am 11. Januar 2024 eröffnete der Bundeskanzler höchstpersönlich die erste Halle des neuen Bahnwerkes, das die Bundespolitik ja wegen der Forderungen der Region nach neuen Industriearbeitsplätzen hier angesiedelt hat. 1.200 solche Plätze gilt es zu besetzen. Aber die Berg- und Energiearbeiter mit ihrer passenden Ausbildung und Tarifstruktur stehen nicht zur Verfügung. Denn so schnell ist der Kohleausstieg ja gar nicht gewollt. Das Bahnwerk stellt natürlich trotzdem ein und wirbt die Leute dafür im regionalen Mittelstand ab. Die Kritik dafür bekommt nicht etwa die LEAG oder der späte Kohleausstieg. Nein, die Bahn ist schuld und natürlich die Bundespolitik.

So schrieb die lokale Umsonst-Zeitung „Märkischer Bote“ dazu am 9. Dezember 2023, der Strukturwandel sei „von Dilettanten gestrickt“ und nur „Märchen-Ökonomen“ würden glauben, dass Arbeitskräfte aus dem Energie- in den Verkehrssektor wechseln würden. Kaum ist die Forderung aus der Region auch nur teilweise erfüllt, waren es also plötzlich die da oben, wenn sie nicht zur Realität passt.

Zur Erinnerung: Es waren Lausitzer Kommunalpolitiker (die sogenannte „Lausitzrunde“), stets hofiert vom „Märkischen Boten“ und anderen Medien, die möglichst schnell neue Industriearbeitsplätze und gleichzeitig einen möglichst späten Kohleausstieg gefordert haben. Die jahrelang Massenarbeitslosigkeit und Abwanderung der Jugend im Fall eines Kohleausstiegs suggeriert hatten, um mit dem kollektiven Trauma der 1990er Jahre die Lausitzer Hirne aus- und eine mobilisierbare Wut auf die Bundesregierung anzuschalten. So entstanden Überschriften wie „Damit 2020 nicht das zweite 1990 wird“. Zeitweise schient es einen politischen Wettlauf darum zu geben, wer die höchste Anzahl von der Kohle abhängiger Arbeitsplätze nennt. Versuche der Versachlichung wurden totgeschwiegen. Im Wahljahr 2024 stehen nun viele wie ratlose Zauberlehrlinge vor der jahrelang selbst angestachelten Wut.

Im Februar 2024 bezifferte ein Papier der BTU Cottbus, dass bis 2038 (ganz ohne den viel diskutierten Kupferabbau in Spremberg) allein in der brandenburgischen Lausitz 55.000 Arbeitsplätze fehlen. Bei der LEAG arbeiten direkt etwa 7.000, und die teilen sich auch noch zwischen Brandenburg und Sachsen auf. Absurderweise entstand das Papier im Auftrag der Brandenburger Staatskanzlei, die diese Wahrheit immer bekämpft hat. Auf Betreiben der brandenburgischen und sächsischen Regierung wurden noch 2019 aus gutachterlich ermittelten etwa 13.000 direkten, indirekten und induzierten Kohlearbeitsplätzen in der Lausitz (inklusive LMBV!) plötzlich im Abschlussbericht der Kohlekommission 24.000 gemacht. Also die Zahl, die beide Landesregierungen zuvor nicht etwa ermittelt, sondern einfach beschlossen hatten. Wie wäre es, wenn Herr Woidke Verantwortung übernimmt und die von ihm versprochenen frei werdenden Arbeitskräfte auch liefert? Zumindest er selbst könnte doch zurücktreten und in einem Lausitzer Handwerksbetrieb die Not lindern helfen.

Die Stimmung gegen „Klima-Propaganda“ (09.12.23) oder gegen Brandmauern nach rechts (27.01.24), die der Märkische Bote in seiner wöchentlichen Kolumne so fleißig päppelt, wird jedenfalls nicht dabei helfen, die Lausitzer Arbeitsplätze mit Zuwandernden zu besetzen. Woanders gibt es schließlich auch Arbeitskräftemangel.

(Foto: Hunderte leere Stühle vor der Cottbuser Stadthalle sollten im Oktober 2018 den Verlust von Arbeitsplätzen durch die Abschaltung von zwei Kraftwerksblöcken in Jänschwalde symbolisieren. Foto: Michael Helbig)

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Dieser Wald ist der Kohlegrube im Weg

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