Lausitzer Wasserstandsmeldung: Der Streit um den Regen von übermorgen

Während in der Lausitz in tieferen Bodenschichten die Dürre von 2018 bis heute nicht zu Ende ist, erwartet ein Teil der Wissenschaftler durch den Klimawandel steigende Wasserverfügbarkeit. Für Verantwortliche ist die Versuchung groß, das als Ausrede zu nutzen um nichts ändern zu müssen. Davon kann auch die Rekultivierung der Lausitzer Tagebaue betroffen sein. Doch verantwortbar wäre ein solches Zurücklehnen gerade nicht.

Nachdem die zweite Augusthälfte der Niederlausitz überdurchschnittlich viel Regen brachte und der September mehr oder weniger durchschnittlich war (Die Wetterstadtion Cottbus macht für September „keine Angaben“, umliegende Stationen liegen zwischen 64 und 144 % des langjährigen Mittels), ist das Gras wieder überall saftig und grün, wofür es einen guten Teil des Regens verbraucht haben dürfte. Wiedermal ist die Dürre im Oberboden vorbei und in der Schicht bis 1,8 Meter Tiefe verzeichnet der Dürremonitor immer noch die gleiche außergewöhnliche Dürre wie seit Jahren. Nur wenn es dort unten auch feucht wird, kann etwas übrig sein, was noch tiefer weiter sickert und Grundwasser neu bildet. Dafür hoffen wir – mal wieder – darauf, das ganze Winterhalbjahr möge so werden, wie die feuchtesten zwei Wochen des Sommers. Anzeichen dafür gibt es bisher nicht.

Grundwasserneubildung ist derweil auf allen Ebenen ein Zankapfel geworden. Viele Klimaforscher warnen eindringlich vor zunehmender Wasserknappheit in Nordostdeutschland. Sie gehen davon aus, dass es nicht so viel mehr regnen wird, wie durch die Klimaerwärmung mehr verdunstet. Die Folge wäre dann zwangsläufig weniger Grundwasserneubildung. Dazu passt auch der Trend zu sinkenden Grundwasserständen, der in den zurückliegenden Jahrzehnten in Brandenburg beobachtet wurde, denselben Jahrzehnten, in denen die nachweisbare Wirkung der menschengemachten Klimaerwärmung einsetzte.

Doch nicht alle sehen das so, Dr. Andreas Marx vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung erwartet in einer Studie für den Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) eine leicht steigende Grundwasserneubildung! (Zur Entwicklung des Wasserdargebotes im Kontext des Klimawandels Energie/Wasser-Praxis 8.2022, S. 16-21)

Man könnte meinen, es sei schwierig, eine Fachmeinung zu vertreten, die konträr zu dem ist, was wir alle in den letzten Jahren in Nordostdeutschland beobachtet haben. Die Meinung von Dr. Marx hat trotzdem Konjunktur und das dürfte zum Teil daran liegen, dass viele genau das gerne hören wollen. Alle, deren Geschäftsmodell auf Grundwasserentnahmen beruht, tragen seit Monaten Veröffentlichungen von Dr. Marx vor sich her und rufen: „Seht her, wir müssen gar nichts ändern!“ Darunter Wasserwerke, Industriebetriebe und auch Betreiber von Braunkohlentagebauen. Man ist versucht zu kalauern, dass seit dem Ende der DDR nicht mehr so viel Marx zitiert wurde.

Dabei räumt Dr. Marx ein, dass sein Modell die Verlängerung der Vegetationsperiode nicht vollständig abbildet und dadurch die tatsächliche Verdunstung unterschätzt. Auch sieht er eine Abnahme des Niederschlags zwar als weniger wahrscheinlich, aber ausdrücklich als möglich an. (Was zwangsläufig einschließt, dass der Niederschlag auch nur so moderat zunehmen kann, dass er die zunehmende Verdunstung nur teilweise ausgleicht.) Wer sich weniger für Modellannahmen und mehr für politische Prozesse interessiert, ist vielleicht misstrausch, weil hier ausgerechnet eine Studie im Auftrag der Wasserbranche zu der Schlussfolgerung führt, man müsse Erlaubnisse zur Grundwasserentnahme ausweiten statt sie einzuschränken. (Sommerinterview Energie/Wasser-Praxis 8.2022, S. 22 - 29)

Aber die Wissenschaft ist frei und lebt nicht zuletzt vom Meinungsstreit. Da ist es wenig hilfreich, wenn Nichtklimatologen so tun, als sei die Auffassung von Dr. Marx Ketzerei und dürfte nicht vertreten werden. Und es wäre auch müßig nachzuzählen, wie groß die Mehrheit von Wissenschaftler*innen ist, die vor zunehmender Trockenheit in Nordostdeutschland warnen. Es bleibt ja selbstverständlich möglich und natürlich absolut wünschenswert, dass Dr. Marx Recht hat. Die Frage ist eine ganz andere, nämlich ob man sich darauf verlassen kann.

Wenn es zwei verschiedene Meinungen gibt, dann hat entweder Wissenschaftler A oder Wissenschaftler B in seinem Modell nicht alle Einflussfaktoren korrekt abgebildet. Die Wahrscheinlichkeit wer richtig liegt muss ich als Nichtklimatologe dann schlichtweg mit 50% ansetzen. Und wenn alle Daten eindeutig zeigen, wer Recht hatte, wird es zum Reagieren zwangsläufig zu spät sein. Dürfen also Politiker*innen und Behörden eine Zukunftsplanung für Jahrzehnte und Jahrhunderte darauf aufbauen, dass A und nicht B Recht hat? Nein, sie werden sich wohl für den schlimmeren der beiden Fälle rüsten müssen. Da kann dann auch eine Bergbehörde nicht plötzlich andere Maßstäbe an Wahrscheinlichkeiten ansetzen, als sie es beim Standsicherheitsnachweis einer Böschung tun würde. Das Brandenburger LBGR hat gerade den Wasserverlust des Pinnower Sees mit Trockenheit durch den Klimawandel begründet (Bericht zu den Oberflächen- und Grundwasserverhältnissen des Pinnower Sees, LBGR/LfU, September 2021), da wäre es gelinde gesagt merkwürdig, die Rekultivierungsplanung des benachbarten Tagebaus auf die These zu stützen, dass es im Klimawandel schon nicht trockener werden wird.

Bei der Herstellung von Tagebauseen gibt es noch einen Unterschied zu Grundwasserentnahmen. Die Seen lassen sich später kaum stoppen und widerrufen, sondern bleiben für Jahrhunderte, „bis zur nächsten Eiszeit“ wie der Brandenburgische Bergamtspräsident es gern ausdrückt. Kommt mehr Wasser als gedacht laufen sie schlichtweg über, denn sie haben in der Regel einen Auslauf in die Vorflut. Mit weniger Wasser kommen sie dagegen nicht klar, denn wird der „untere Grenzwasserstand“ eines gekippten Seeufers dauerhaft unterschritten, ist es mit dessen Standsicherheit vorbei. Deshalb ist es unerlässlich, Szenarien mit sinkender Grundwasserneubildung zu betrachten, statt sich bei der Rekultivierung der Tagebaue darauf zu verlassen, dass sich schon nichts ändern wird.

(Nachtrag vom 08.11.: Der Oktober 2022 blieb an der Wetterstation Cottbus letztlich bei 60% des langjährigen Niederschlagsmittels...)