Rundbrief vom 21. September 2016

1. Lausitzer diskutieren die Zukunft nach dem Braunkohlekraftwerk Jänschwalde

2. Gewerkschaft ver.di: sozialverträglicher Kohleausstieg ist bezahlbar

3. IG BCE-Cef muss sich von Transparent einer Ortsgruppe distanzieren

4. Kommentar zum 18. Brandenburger Energietag

5. Jurij Koch zum 80. Geburtstag

1. Lausitzer diskutieren die Zukunft nach dem Braunkohlekraftwerk Jänschwalde

In Peitz diskutierten am 8. September etwa 100 Vertreter von Unternehmen, Initiativen und Kommunen Ideen für eine Zukunft nach dem Braunkohlekraftwerk Jänschwalde.
Hier einige Eindrücke in einem Filmbericht auf vimeo (3:05 Minuten)

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Ulrike Menzel, Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Cottbus zieht eine positive Bilanz: „Die Tagung hat engagierte Menschen in einer konstruktiven und offenen Atmosphäre zusammengebracht und gezeigt, wie viel Potenzial die Lausitz hat. Wir werden die Diskussion unbedingt in den nächsten Monaten weiterführen.“

Wissenschaftler und Praktiker beleuchteten in ihren Beiträgen verschiedene Aspekte des Strukturwandels im Braunkohlerevier.

160908 peitz02Professor Peter Droege stellte die Entwürfe internationaler Raumplaner der Universität Liechtenstein zur Zukunft der Region vor. Die Ausstellung mit diesen Entwürfen regt an verschiedenen Stationen in der Lausitz zur Diskussion an: im Cottbuser E-Werk (09. -11. September), im Einkaufszentrum Blechen-Carré (12. - 21. September) und in der Peitzer Kirche (26. Sept. – 8. Okt.).

Die Zukunftspläne der mehrfach preisgekrönten Firma Nagola Re aus Jänschwalde beschrieb Gründerin und Geschäftsführerin Christina Grätz: „Die zahlreichen Wildpflanzenarten, die unsere Firma bisher für Naturschutzprojekte vermehrt, können künftig auch ein großes wirtschaftliches Potenzial für die Region sein. Wir prüfen gerade, welche gesunden Nahrungsmittel wir daraus herstellen und auf den Markt bringen können. Wir denken da in größeren Dimensionen und wollen auch die Verarbeitung vor Ort behalten.“

160908 peitz03Uwe Wehder von der Glasmanufaktur Brandenburg GmbH stellte den traditionellen Lausitzer Glasindustriestandort Tschernitz vor, der durch die Solarwirtschaft wieder zukunftsfähig wurde. Das Werk mit einer Stammbelegschaft von derzeit 285 Mitarbeitern hat bei der Herstellung von Solarglas eine Marktanteil von 40 % in Europa.

Zum Umgang mit dem Gelände des jetzigen Kraftwerkes Jänschwalde verwies Heidi Pinkepank vom Cottbuser Institut für Neue Industriekultur (INIK GmbH) auf die Notwendigkeit eines rechtzeitigen Diskussionsprozesses: „Es ist richtig, die Diskussion zu beginnen, wenn das Kraftwerk noch läuft. Das zeigen die weltweiten Erfahrungen mit Kraftwerksstilllegungen. Die Region braucht rechtzeitig eine Strategie zur Nachnutzung und sollte darüber im Gespräch bleiben.“

160908 peitz04Die Abschaltung der zwei neuesten von sechs Blöcken des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde wurde im vergangenen Jahr zwischen Bundesregierung und Betreiber vereinbart. Sie sollen ab Oktober 2018 für vier Jahre als Reserve bereitstehen und danach endgültig stillgelegt werden. Wie lange die vier älteren Blöcke am Netz bleiben, ist bisher nicht bekannt, sie sind aber mittelfristig nicht mehr mit Klimaschutz und Energiewende vereinbar. Die Region muss sich daher auf ein mögliches Ende des Kraftwerksstandortes vorbereiten. Veranstalter der Tagung waren das Liechtenstein Institut für strategische Entwicklung, der Evangelische Kirchenkreis Cottbus und die Umweltgruppe Cottbus. (Text: Pressemitteilung, 09.09.2016)

2. Gewerkschaft ver.di: sozialverträglicher Kohleausstieg ist bezahlbar

Am 15. September teilte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit: ein sozialverträglicher Kohleausstieg ist machbar und finanzierbar. Das ist das Ergebnis eines im Auftrag von ver.di erstellten Gutachtens von enervis energy advisors. „Unser Gutachten zeigt: Der Ausstieg ist sozialverträglich machbar, er ist finanzierbar und unser Vorschlag belastet die Gesellschaft nicht. Jetzt ist die Politik gefordert, zu handeln“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Damit positioniert sich der ver.di-Chef in der politischen Debatte nun gänzlich anders als noch im Frühjahr 2015 in der Debatte um die Klimaschutzziele für 2020.
Das Gutachten ermittelte die Sozialkosten für verschiedene Szenarien eines Kohleausstieges darunter das von Agora Energiewende Anfang des Jahres vorgeschlagene Szenario eines Kohlekonsens sowie auch eine Halbierung der Kohlestromproduktion bis 2030.

Berechnet wurden „die durchschnittlichen jährlichen Kosten, die maximal entstehen können, wenn alle, die vor Rentenbeginn ihren Job im Kraftwerk verlieren, ihr Gehalt weiter ungekürzt beziehen würden.“ Ob diese Sicherheit bis zur Rente der richtige Maßstab wäre – auch gegenüber den Beschäftigten „normaler“ Branchen - wird man diskutieren müssen. Ver.di weist jedoch auch darauf hin, dass die Kosten in der Praxis geringer ausfallen, weil viele Betroffene neue Jobs finden würden: „Wir rechnen damit, dass in keinem der Szenarien auch zu den Spitzenzeiten etwa um 2030 jährliche Kosten von mehr als 250 Millionen Euro aufzubringen sein werden, für vorzeitige Renten, aber auch für Umschulung und andere berufsbegleitende Maßnahmen“, wird ver.di-Bundesvorstandsmitglied Andreas Scheidt in der Pressemitteilung zum Gutachten zitiert. Die Gutachter weisen zur Einordnung dieser Zahl darauf hin, dass die Stromkunden in Deutschland insgesamt jährlich 63 Milliarden Euro für das Stromsystem ausgeben.

3. IG BCE-Cef muss sich von Transparent einer Ortsgruppe distanzieren

Nachdem die IGBCE-Ortsgruppe Alsdorf im rheinischen Revier ein Transparent mit dem Aufdruck „Klimalüge“ zeigte, sah sich Gewerkschafts-Chef Vasiliadis zu einer öffentlichen Distanzierung gezwungen. Das Transparent treffe „weder inhaltlich noch in der Form auf unsere Zustimmung“, teilte er am 5. September auf der Internetseite der IG BCE mit. Zuvor war in sozialen Medien über eine „AfDisierung“ der IG BCE diskutiert worden.

4. Kommentar zum 18. Brandenburger Energietag

Am 19. September fand der jährliche Brandenburger Energietag in Cottbus statt. Wie in jedem Jahr gab es durchaus Niveauvolles und Interessantes zu hören – aber wie in jedem Jahr erst am Nachmittag, als die Pressevertreter nicht mehr da waren. Der Vormittag gehörte zwei Impulsvorträgen von Wirtschaftsminister Albrecht Gerber und von Vattenfall.

Vor einer landesweiten Fachwelt, die sich überwiegend mit Erneuerbaren und Energieeffizienz beschäftigt, schämte sich Herr Gerber nicht, fast den ganzen Vortrag der Verteidigung der Braunkohlewirtschaft gegen die böse Bundespolitik zu widmen. Er sagte dabei akribisch alle Sätze auf, die man auch schon in den Zeitungen der letzten Wochen von ihm gelesen hatte. Das Publikum ertrug auch die fachlich fragwürdigen Aussagen erstaunlich geduldig.

Vattenfall-Vorstand Hartmut Zeiß war mit dem Vortragstitel „Ein Braunkohleunternehmen in der Energiewende“ angekündigt worden und entsprechend wurden Worte zur zukünftigen Politik des Unternehmens erwartet. Stattdessen gab es ganz ausführliches Gejammer über die Lage der konventionellen Energiewirtschaft und die Erneuerbaren Energien im Allgemeinen. Natürlich nicht ohne gleichzeitig zu behaupten, dass man ja deren Partner bleibe.

Zur Realsatire wurde der Vortrag, als Zeiß von der Politik forderte, das „System der Subventionierung und Enteignung“ müsse beendet werden. Da würden wir ihm zu gern zustimmen, falls er damit meint, dass der Bergbau in der Lausitz künftig auf die Subventionierung beispielsweise beim Abpumpen von Grundwasser verzichten will und die bergrechtliche Grundabtretung abgeschafft werden sollte.

Zu anstehenden strategischen Entscheidungen des Unternehmens „das wir heute leider noch nicht mit einem Namen versehen können“ stellte er ganz zum Schluss fest, dass man die mit dem alten Eigentümer nicht mehr und mit dem neuen noch nicht treffen könne. Wenn Vattenfall gerade nichts konkretes sagen kann oder darf, hätte der Veranstalter ja durchaus einen anderen Impulsvortrag in Erwägung ziehen können. Aber ein Brandenburger Energietag ohne ideologische Schulung durch das Braunkohleunternehmen ist offenbar immer noch nicht denkbar – hier ist Strukturwandel dringend nötig.

160919 energietagMorgens hatten vor dem Veranstaltungs-ort Vertreter bedrohter Orte den Stopp des Braunkohlenplanverfahrens Jänsch-walde-Nord gefordert. Begründung für die Einleitung des Verfahrens war die damalige Absicht des Vattenfall-Konzerns, bis zum Jahr 2020 am Standort Jänschwalde ein kommerzielles Kraftwerk mit CO2-Abscheidung und unterirdischer Verpressung zu errichten. Bereits die Vorstufe dazu, eine für 2015 angekündigte Demonstrationsanlage wurde nie gebaut. Der Neubau herkömmlicher Kohlekraftwerke gilt in Deutschland bereits seit mehreren Jahren sowohl wirtschaftlich, als auch klimapolitisch als ausgeschlossen. Dennoch hat die Brandenburgische Landesregierung die Absicht zur Zerstörung von Grabko, Kerkwitz und Atterwasch nie aufgegeben und das Braunkohlenplanverfahren bis heute weitergeführt. Trotz reichlicher Redezeit hatten weder Gerber noch Zeiß Argumente gegen die Einstellung des Planverfahrens zu bieten.

5. Jurij Koch zum 80. Geburtstag

Am 15. September wurde der Cottbuser Schriftsteller und Journalist Jurij Koch 80 Jahre alt.

Kritische Worte zum Braunkohleabbau auf dem Schriftsteller-Kongress der DDR 1987, sein Auftritt in Peter Rochas Film „Die Schmerzen der Lausitz“ 1990, sein Engagement für die Rettung sorbischer Dörfer wie Klitten, Horno und Lakoma hatten Koch zu einer Ikone des Lausitzer Kohlewiderstandes vor allem in den 1990er Jahren gemacht.

Von Jurij Koch sind zahlreiche Bücher in deutscher, nieder- und obersorbischer Sprache erschienen, von denen viele den Heimatverlust durch den Bergbau aufgreifen. Erst im vergangenen Jahr hatte das deutsch-sorbische Volkstheater Bautzen die Inszenierung seines Stückes „Mein vermessenes Land“ wieder auf den Spielplan gesetzt. Natürlich hat der langjährige Rundfunk-Journalist auch andere Themen: Im nächsten Jahr kommt mit „Sergej“ ein Stück auf die professionelle Bühne, das er ursprünglich für die wendische Laien-Theatergruppe in Drachhausen schrieb.

Wir gratulieren Jurij Koch auf diesem Wege nachträglich und wünschen weiterhin viel Schaffenskraft!

Hier der Rundbrief als pdf-Datei