Rundbrief vom 6. November 2015

1. Fakten: Stillegungspräme für zwei Blöcke des Kraftwerkes Jänschwalde

2. Folgen: Planverfahren Jänschwalde-Nord endlich stoppen!
3. Farce: Kohlelobby auf Dummenfang
4. „Klimazeugen“ aus Afrika und Asien fordern in Atterwasch: Klimakiller Kohle muss im Boden bleiben
5. Jetzt unterschreiben: Online-Petition gegen Gefährdung des Berliner Trinkwassers durch Tagebaue
6. Demnächst demonstrieren: Klima-Marsch am 29. November in Berlin
7. Bürgermeister im Blindflug
8. Böll-Stiftung: Diskussion mit Landrat Altekrüger zum Kohle-Atlas
9. Wir trauern um Michael Gromm
10. Fernsehdiskussion zur Solaranlage in Atterwasch
11. ver.di und die Braunkohle
12. Am Rande: Filmfestival ohne Kohlekonzern – und nichts bricht zusammen

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Die Klimazeugen Melvin Purzuelo und Hindou Oumarou Ibrahim vor dem Kraftwerk Jänschwalde (Foto: Oxfam)

1. Fakten: Stillegungspräme für zwei Blöcke des Kraftwerkes Jänschwalde

Wie Vattenfall am späten Abend des 26. Oktober mitteilte, wird Block F des Kraftwerkes Jänschwalde ab dem 1. Oktober 2018 und Block E ab dem 1. Oktober 2019 in die jeweils vierjährige „Sicherheitsbereitschaft“ überführt und anschließend stillgelegt. Es handelt sich dabei trotz dieser neuen Wortschöpfung exakt um den Vorschlag der Bergbaugewerkschaft IG BCE, auf den sich die Koalitionsspitzen am 1. Juli geeinigt hatten. Bis Oktober hat die Bundesregierung nun offenbar mit den Kohlekonzernen über den Preis verhandelt, mit dem das Bereithalten der Kraftwerke vom Stromkunden vergütet werden soll. Am 4. November wurde die Einigung im Bundeskabinett beschlossen, um anschließend als Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht zu werden. Vattenfall steuert damit 1.000 der insgesamt 2.700 Megawatt Kraftwerksleistung bei, die in Rheinland, Mitteldeutschland und Lausitz zwischen 2017 und 2019 in Reserve/Stillegung gehen sollen.
Dass Vattenfall die beiden neuesten Blöcke des Kraftwerkes zuerst abschalten wird, könnte technisch bedingt sein. Vermutlich lassen sich die Versorgungsleitungen der sechs Blöcke nur in umgekehrter Reihenfolge wieder zurückbauen, als sie aufgebaut wurden. Aber es ist für den Kraftwerksstandort auch ein Omen: Das Rest-Kraftwerk wird aufgrund seines Alters technisch wie politisch verschlissen sein.
Dass es sich um eine Stillegungsprämie handelt und eigentlich niemand mit dem tatsächlichen Einsatz der Blöcke rechnet, kann man daran erkennen, dass eine zehntägige Vorwarnfrist eingeplant ist, um die Anlagen hochfahren zu können. Falls es wirklich mal eng wird im Stromnetz, ist der Notfall längst wieder vorbei, wenn die Braunkohle-Reserve loslegt. Leider lässt die Zehn-Tage-Frist auch erwarten, dass kein Personal ständig bereitgehalten wird, dabei hätte das wenigstens der soziale Aspekt der „Reserve“ sein können. Nach 2020 plant das Bundeswirtschaftsministerium übrigens eine richtige Kapazitätsreserve aus wirklich flexiblen Kraftwerken.
Der Stadtwerkeverbund Trianel prüft derweil eine Klage gegen die Zahlungen an die Braunkohle-Konkurrenz. Die Rheinische Post zitiert Trianel-Chef Becker: "Die Braunkohlereserve ist eine umfassende Stilllegungsprämie für einen begrenzten Teilnehmerkreis. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten der Stadtwerke und verhindert innovative klimafreundliche Lösungen."

2. Folgen: Planverfahren Jänschwalde-Nord endlich stoppen!

Wenn der Abschied vom Kraftwerksstandort Jänschwalde eingeleitet ist, muss die Landesregierung endlich auch die Konsequenz ziehen und die Unsicherheit der Bewohner von Grabko, Kerkwitz, Atterwasch, Groß Gastrose, Taubendorf und Guben beenden, indem das Planverfahren zum Tagebau Jänschwalde-Nord eingestellt wird. Seit Jahren werden diese Menschen von der Landesregierung und Vattenfall skupellos als Spekulationsobjekt missbraucht, obwohl seit 2011 nicht das kleinste Anzeichen für einen Kraftwerksneubau existiert, den der Tagebau angeblich versorgen soll.
Während die Landesregierung rechtlich eindeutig die Möglichkeit hätte, den Tagebau zu verhindern (so widerspricht er etwa dem derzeit geltenden Braunkohlenplan Jänschwalde, der eine Nordgrenze des Tagebaus festlegt), will Wirtschaftsminister Gerber nach wie vor die Entscheidung dem Käufer der Kohlesparte überlassen - offensichtlich auch mit Zustimmung des linken Koalitionspartners. Was die Frage aufwirft, warum wir eigentlich aus Steuergeldern teure Ministergehälter zahlen, wenn die dann Brandenburg von der Kohlewirtschaft regieren lassen wollen.
Am Sonnabend abend hat es noch einen medialen Sturm im Wasserglas gegeben: Auf Nachfrage des RBB äußerte Vattenfall-Vorstand Grosser, dass ein Kraftwerksneubau in Jänschwalde weiterhin geplant sei. Das dürfte eine Verlegenheitsantwort gewesen sein, um die bisherigen Absprachen mit der Landesregierung nicht mitten im Verkaufsprozess öffentlich aufzukündigen und die Option Jänschwalde-Nord den Kaufinteressenten weiterhin anbieten zu können. Eine Neuigkeit war es mit Sicherheit nicht. Leider machte der RBB die Unfähigkeit, eine Sprachregelung zu ändern trotzdem als Nachricht auf, so dass es vereinzelt auch von anderen Medien zitiert wurde.

3. Farce: Kohlelobby auf Dummenfang

Der Verein „Pro Lausitzer Braunkohle“ wettert dieser Tage gegen die Abschaltung der Jänschwalder Blöcke und versucht mit geballter Unsachlichkeit die öffentliche Meinung zu manipulieren. Was nicht so schlimm wäre, wenn es nicht auf Titelseiten wie der des „Märkischen Boten“ gelandet wäre: Wie selbstverständlich werden dabei die Klimaschutzziele der Bundesregierung für den aktuellen Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen der Lausitzer Kommunen verantwortlich gemacht. Die für das Jahr 2014 auf Null reduzierte Gewerbesteuer auf eine Regelung zurückzuführen, die erst 2018 wirksam wird, lässt jede sachliche Diskussionskultur vermissen. Fakt ist: In den Jahren 2012-2014 wurden Rekordmengen an Kohle in der Lausitz verstromt, gleichzeitig fiel die Gewerbesteuer ins Bodenlose. Das liegt ganz offensichtlich nicht am Klimaschutz, sondern am niedrigen Großhandelspreis für Strom. Um den wieder in Höhen zu heben, von denen Kraftwerksbetreiber leben können, müssen Überkapazitäten vom Markt. Und da ist es nur vernünftig, bei den klimaschädlichsten anzufangen.
Auffällig viele Lausitzer Medien vergessen zudem neuerdings zu erwähnen, dass die jetzt beschlossene Abschaltungsregelung ein Vorschlag der Bergbaugewerkschaft IG BCE war, gewissermaßen also der Lausitzer Bergleute selbst.
Es lohnt sich, zwei Äußerungen von Pro-Braunkohle-Vorsitzenden Wolfgang Rupieper zu vergleichen: In einer Diskussion zwischen ihm und Prof. von Hirschhausen am 9. Dezember 2014 auf RBB-online gab es folgenden Wortwechsel:
Rupieper: Das sehe ich anders, denn die Braunkohle-Kraftwerke in der Lausitz sind, was die Umweltfreundlichkeit anbelangt, mit einer kleinen Ausnahme die modernsten in Europa. (...)
Hirschhausen: (...) Es ist zudem auch nicht richtig, dass alle Kraftwerke in der Lausitz modern sind, das Kraftwerk Jänschwalde ist aus den 80er Jahren...
Rupieper: ...deshalb habe ich ja "mit einer kleine Ausnahme" gesagt...
(Hier der RBB-Artikel)
In drei Jahren steht also die Stillegung eines Drittels einer kleinen Ausnahme an, aber jetzt heißt es in der Pressemitteilung von Herrn Rupieper plötzlich: “eine funktionierende Industrieregion wird zerschlagen”. Hat da noch jemand Fragen?

4. „Klimazeugen“ aus Afrika und Asien fordern in Atterwasch: Klimakiller Kohle muss im Boden bleiben

Im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz protestierten am 31. Oktober die Entwicklungsorganisation Oxfam, Tagebaubetroffene aus der Lausitz und zwei „Klimazeugen“ aus dem Tschad und den Philippinen am Braunkohletagebau Jänschwalde. Die Teilnehmer/innen riefen die verantwortlichen Politiker/innen und den Betreiber Vattenfall dazu auf, alle Kohlekraftwerke schrittweise stillzulegen und Planungen für neue Tagebaue zu stoppen. Die Klimazeugen waren auch Hauptredner auf dem Treffen des Bündnisses “Heimat und Zukunft”, dass wie jedes Jahr am Reformationstag in Atterwasch stattfand.
Hindou Oumarou Ibrahim aus dem Tschad, die bei den UN-Klimaverhandlungen die Initiativen indigener Völker repräsentiert, erklärte: „Die Menschen im Tschad erleben die schrecklichen Folgen der Klimaveränderung schon heute. Unsere Seen trocknen aus, unsere Bauern und Viehzüchter verlieren ihre Ernten und Lebensgrundlagen, der Hunger nimmt zu. Es macht mir Angst, diese riesigen Braunkohletagebaue in Deutschland zu sehen – jede Tonne, die davon verbrannt wird, verschlimmert Armut und Not in meiner Heimat.“
Melvin Purzuelo, Mitinitiator eines Netzwerkes, das sich gegen den Bau von Kohlekraftwerken auf den Philippinen einsetzt, sagte: „Noch nie haben wir auf den Philippinen so zerstörerische Stürme erlebt wie in den vergangenen sieben Jahren. Allein der Taifun ‚Haiyan‘ im Jahr 2013 hat mehr als 6000 Menschen das Leben gekostet. Wenn wir nicht endlich aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, werden die Philippinen und andere Entwicklungsländer noch mehr solcher Tragödien in Folge des Klimawandels erleben.“
Bauernbund-Geschäftsführer Reinhard Jung ging in seiner Rede auf den Vattenfall-Verkauf und das Verhalten der brandenburgischen Landesregierung ein: “Schweden will die Tagebaue und Kraftwerke aus Umweltgründen verkaufen, Tschechien verbietet aus Menschenrechtsgründen die Abbaggerung weiterer Dörfer – und Brandenburgs Wirtschaftsminister Herr Gerber hat nichts besseres zu tun, als noch vier brandenburgische Dörfer zu überplanen, damit tschechische Konzerne bis 2050 unser Land verwüsten und die Kohle verheizen können.”

5. Jetzt unterschreiben: Online-Petition gegen Gefährdung des Berliner Trinkwassers durch Tagebaue

Derzeit eskalieren die Probleme mit überhöhten Sulfatkonzentrationen im Rohwasser der Wasserkraftwerke Friedrichshagen und Briesen weiter. Berlin und Brandenburg planen zudem offenbar einen “Sulfatgipfel” am 20. November. Das Bündnis “Kohleausstieg Berlin” hat nun eine Online-Petition eingerichtet, mit der es den regierenden Bürgermeister und den brandenburger Ministerpräsidenten zum Handeln auffordert:
https://weact.campact.de/petitions/berlin-schutzt-unser-trinkwasser

6. Demnächst demonstrieren: Klima-Marsch am 29. November in Berlin

Am Tag vor dem Beginn der Klimaverhandlungen in Paris, Sonntag den 29. November findet im Rahmen des weltweiten “Global Climate March” auch eine große Klimademonstration in Berlin statt. Treffpunkt ist 12:00 Uhr vor dem Hauptbahnhof in Berlin (Washingtonplatz). Für Teilnehmer aus der Lausitz empfielt sich also ein Treffen um 9:45 Uhr auf dem Cottbuser Hauptbahnhof, um mit Wochenendtickets den 10-Uhr-Zug nach Berlin zu nehmen.
http://globalclimatemarch.de

7. Bürgermeister im Blindflug

Mehrere Lausitzer Bürgermeister und Amtsdirektoren haben schon am 13. Oktober in einem Brief an die Bundeskanzlerin die durchaus sinnvolle Forderung nach Unterstützung beim Strukturwandel zu einer Realsatire verkommen lassen und der Region damit wohl keinen Gefallen getan. Denn sie fordern in einer Anlage zum Brief die Umsetzung der Tagebaue Nochten 2 und Welzow-Süd II und wollen gleichzeitig für den Wegfall der Kohlewirtschaft umfangreich entschädigt werden. Unter den Unterzeichnern ist auch der Bürgermeister von Schleife, das den Tagebau Nochten 2 in seiner Stellungnahme im Braunkohlenplanverfahren abgelehnt hat. Man muss daran zweifeln, ob alle Unterzeichner die Anlage zum Brief überhaupt kennen und wissen, was sie da alles gefordert haben. Kommunen wie Guben und Schenkendöbern unterzeichneten das Papier wegen des darin enthaltenen Bekenntnisses zur Braunkohle nicht. Der Verein Pro Lausitzer Braunkohle deutet an, dass er hinter der Brief-Aktion steckt, denn er droht auf seiner Internetseite der Bundespolitik damit, dieser Brief “war nur der Anfang!”. Der Vorgang ist ein Beispiel dafür, wie die Debatte um einen Strukturwandel in der Lausitz für die Rückzugsgefechte der Braunkohlelobby instrumentalisiert wird. Wenn die Kommunalpolitik hier nicht bald umdenkt, macht sich die Lausitz selbst zum Verlierer der Energiewende.


8. Böll-Stiftung: Diskussion mit Landrat Altekrüger zum Kohle-Atlas

Am 11. November um 19:00 Uhr stellt die Heinrich-Böll-Stiftung den von ihr veröffentlichten “Kohle-Atlas” in Cottbus vor. Zur anschließenden Diskussion mit Autor Arne Jungjohann werden auch Spree-Neiße-Landrat Harald Altekrüger (CDU) und die Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky (Bündnis90/Grüne) erwartet. Ort: Seminarraum 4 des zentralen Hörsaalgebäudes der BTU, Anmeldung erbeten unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

9. Wir trauern um Michael Gromm

Uns erreichte die Nachricht, dass der Schriftsteller und Horno-Aktivist Michael Gromm am Abend des 30. Oktober verstorben ist. Michael Gromm kam Anfang der 1990er Jahre in die Lausitz und begann, sich für den Erhalt des vom Tagebau Jänschwalde bedrohten Dorfes Horno einzusetzen. Diesen Kampf führte er bis zum Abriss der letzten Häuser weiter und wehrte sich vor Gericht gegen die Enteignung eines Grundstückes. Im Jahr 2001 war er auch der erste, der sich wegen Vattenfalls Braunkohlegeschäften in Deutschland an die schwedische Öffentlichkeit wandte. Den jahrelangen Kampf der Hornoer hat er in seinem Buch „Horno – verkohlte Insel des Widerstandes“ dokumentiert. Michael Gromm lebte in den letzten Jahren in Berlin. Der Termin der Beisetzung wird noch bekannt gegeben.

10. Fernsehdiskussion zur Solaranlage in Atterwasch

Am 20. Oktober fand eine live-Diskussion von energy TV24 in der Atterwascher Kirche statt, bei der es um die Solaranlage auf dem Pfarrhaus ging. Bekanntlich fordert die Denkmalschutzbehörde des Landkreises den Rückbau der Anlage, während durch den geplanten Tagebau Jänschwalde-Nord der Abriss des ganzen Dorfes droht. Hier die Diskussionssendung:
https://www.youtube.com/watch?v=TrdQy9wEOTU

11. ver.di und die Braunkohle

Die Gewerkschaft ver.di hat ihre Position zur Braunkohle von der Tagesordnung des Gewerkschaftskongresses in Leipzig genommen und in den viel kleineren Gewerkschaftsrat delegiert. (vgl. Rundbrief vom 28.September) Jetzt erschien dazu ein Hintergrundartikel von klimaretter.de:
http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/19930-verdi-und-kohle-klarheit-gegen-kryptik?utm_source=klimaretter.info&utm_medium=twitter

12. Am Rande: Filmfestival ohne Kohlekonzern – und nichts bricht zusammen

Aktuell läuft das 25. Festival des Osteuropäischen Films in Cottbus. Seit 2003 war Vattenfall als „First Partner“ eine feste Größe. Was bedeutete, dass die Zuschauer vor jedem Film mit einem Vattenfall-Trailer indoktriniert wurden und riesige Plakate und Anzeigen auf das Sponsoring hinwiesen, die deutlich mehr gekostet haben dürften, als der Zuschuss zum Festival nach Insider-Informationen betrug. In diesem Jahr segelt das Festival erstmals nicht mehr unter der Braunkohleflagge. Folgerichtig müsste es jetzt zusammenbrechen und nichts als ein Scherbenhaufen an den früheren Glanz von Kultur in der Lausitz erinnern. Das ist dem Festival indes nicht anzumerken. Merkwürdig.
Www.filmfestivalcottbus.de

Hier der Rundbrief als pdf